Der Moment als Ausdruck der Kreativität – die Gunst der Stunde

Die Vorstellung, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und dann auch noch genau das Richtige zu tun, das ist die Königsdisziplin aller Kreativen. Eine etwas andere Geschichte der Zeit.

Mit der Redensart, die „Gunst der Stunde” zu nutzen, verbindet sich sehr oft die Vorstellung, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und dann auch noch genau das Richtige zu tun. Es könnte bedeuten, genau zum richtigen Zeitpunkt den Menschen zu treffen, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen wird, einen äußerst lukrativen Deal abzuschließen oder einfach genau dann die zündende Idee zu haben, wenn die Zeit reif dafür ist. Es handelt sich um einen kreativen Augenblick der Bewegung dessen Dauer unbestimmter Natur ist – eine Sekunde, einige Minuten oder für die Zeitspanne der sprichwörtlichen Stunde. Ein solcher Moment ist oft ein Wendepunkt im Leben eines Menschen.

Bevor sich die Bedeutung und die Dynamik des Momentes vor unseren Augen offenbart, betrachten wir zuerst die Ausgangssituation, als alles begann – zur Stunde Null. Die Stunde Null ist auch ein Synonym für den Beginn der Zeitrechnung. Von nun an können wir den Moment an dem ein Ereignis stattfand nach zwei Gesichtspunkten beschreiben: nach dem vorher und dem nachher, analog zu vor Christus und nach Christus unserer gewohnten Zeitrechnung. Das Auftreten des Christus ist für das gesamte abendländische religiöse Bewusstsein als Wendepunkt gedeutet worden. Mit ihm veränderte sich alles, soll ausgedrückt werden. Um korrekt zu sein, sollte das physikalische Phänomen Zeit gegenüber dem Begriff der reinen Zeitrechnung abgegrenzt werden. Auf Grund seiner Wesensart der Dehnbarkeit und Skalierbarkeit passt das Thema Zeit am besten zur Gruppe der unendlichen Größen wie Raum und die Leere.

Die unendliche Leere – Die Zeit, die Gegenwart und der Augenblick

Spricht man von der Leere, so verstehe man diese als ein Bild für die Nichtexistenz und Ursprung der Gedanken, Taten sowie jeder Form der Kreativität – die Stunde Null also. Man denke dabei auch an die kosmologische Stunde Null als alles seinen Anfang nahm. Zwischen den unendlich großen Entfernungen der Galaxien und Sternenhaufen breitet sich die Leere gerade zu rasant aus. Ähnlich verhält es sich, rückt man über die Längenskala der Null immer näher bis sich die Distanzen auf das unendlich Kleine verringern.

Die Zahl Null war schon in der Antike mit der Leere und dem Chaos verknüpft und stand für die „furchterregenden Eigenschaften des Nichts“. Der Maßstab der Zeit verengt sich ebenfalls auf einen unendlich kleinen Wert, bemüht man sich um eine Definition des Hier und Jetzt. Der flüchtige Moment der Gegenwart wird von den beiden mächtigen Eckpfeilern Vergangenheit und Zukunft getragen. Physiker und Philosophen sind sich darin noch uneins, ob die Zeit wirklich existiert oder womöglich nur eine Illusion ist. Die wahre Natur der Zeit in ihrer Gesamtheit entzieht sich weiterhin einer zufrieden stellenden Erklärung durch die exakten Wissenschaften.

Wie lange dauert ein Moment (lateinisch momentum: Bewegung)? Unser Zeitempfinden ist sehr eng mit der Abfolge von Ereignissen verknüpft. Dies entspricht auch unserer Methodik der Zeitmessung und dient somit als praktischer Behelf um der Subjektivität der Erfahrung mit Zeit zu begegnen. Aber nicht in jeder Kultur ist man mit dem Zeitbegriff oder mit der von uns akzeptierten Zeitmessung vertraut: Die Hopi-Indianer z. B. kennen keinen Hinweis auf die Zeit. Dies gilt auch für die indianische Sprache Lakota. Eine Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft existiert nicht. Sie ließe sich im soziologischen Kontext am besten als das bereits Geschehene und das Herbeigesehnte oder das Befürchtete verstehen. Sie kennen nur das immerwährende Jetzt.

Du lebst nur den gegenwärtigen Moment!
Die übrige Zeit ist in der Truhe der Vergangenheit begraben oder sie liegt in der ungewissen Zukunft.

Marcus Aurelius Antonius, römischer Kaiser 161 – 180 und Philosoph

Der einzige Anhaltspunkt, den wir zur Bestimmung des Jetzt haben, ist festzustellen, wieviel Zeit vergehen muss, um zwei Reize voneinander unterscheiden zu können. Es sei eine Zeitspanne von 30 Millisekunden, so fand ein Hirnforscher fand heraus. Physikalisch gesehen, läßt sich dieser Zusammenhang auch im Sinne einer Frequenz verstehen, mit der wir die Wirklichkeit wahrnehmen (scannen). Jede Aktivität, die kürzer als 30 Millisekunden andauert – sprich: eine höhere Frequenz aufweist –, entzieht sich unserer Wahrnehmung. Man denke dabei an Ultraschall: wir können die Töne nicht hören, weil deren Frequenz höher ist als unser Ohr wahrzunehmen vermag. Was nicht mittels unserer Sinne wahrnehmbar ist, hinterläßt in unserem Bewußtsein somit keine Spur, als existiere es nicht.

Das subjektive Empfinden/Erleben eines Augenblicks (ein Wimpernschlag) geschieht innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Die unaufhaltsame Erneuerung unserer Sinneseindrücke aggregiert in unserer Erinnerung. In die Stimmung eines Momentes einzutauchen bedeutet unter anderem auch diesen unvoreingenommen und neutral wahrzunehmen. Aber Erinnerungen und Erwartungen färben einen Moment und lassen uns diesen oft nicht frei erleben.

Es ist immer jetzt.

Alter Spruch

Diese Thematik führt zu einer Annäherung unterschiedlicher kultureller Strömungen. Im Buddhismus folgt man der Erkenntnis, das Leben finde ausschließlich im „Hier und Jetzt“ statt und stelle demnach die einzige Wirklichkeit dar, die für uns relevant ist. In vorwiegend wirtschaftlich/kommerziell orientierten Kulturen ist eine zukunftsorientierte Lebensweise beobachtbar. Ältere Menschen leben auch mal gerne in nostalgischer Weise in der Vergangenheit wenn sie mit der Gegenwart abgeschlossen haben.

Das Leben im Jetzt zu ergreifen ist die wesentliche Aussage aller vermittelten Gesichtspunkte. Das mag bedeuten, man ist nicht erst morgen glücklich wenn das geforderte Plansoll erreicht wurde, sondern bereits heute mit der Perspektive der Verbesserung. Der Blick in die Vergangenheit, als man beispielsweise noch glücklich war, da die Zeiten schlechter geworden sind, wird weniger melancholisch ausfallen, wenn einem dies gelingt. Es entsteht eine lebendige Koexistenz mit der Gegenwart und erlaubt das Hineinströmen von Eindrücken in die Seele des Menschen, da diese nicht durch Vernunftfixierung und die beurteilende Instanz der Vorstellungswelt blockiert werden.

Jeder Augenblick hat eine besondere Botschaft.

Hazrat Inayat Khan, (1882 – 1927), indischer Sufi-Meister

Dem kontinuierlichen Jetzt zu folgen, wie ein Hund der bei Fuß geht, ist aber nicht automatisch der Schlüssel zum Glück. Genauso wenig wird stetes positives Denken eine verfahrene Situation verbessern, wenn man nicht selbst auch Hand an legt um dagegen zu steuern. Was lässt sich denn nun wirklich daraus schließen? Ein Beispiel soll dies anzeigen.

Sei gegenwärtig in allem, was du tust,
die einzige Wirklichkeit ist jetzt.
Solange du Vergangenem nachhängst
oder Zukünftigem nachstellst,
bist du nicht wirklich hier, am Leben.

Aus dem Zen-Buddhismus

Beispiel – Begegnung

Gehen wir mal davon aus, zwei Indianer begegnen sich um über Stammesproblematiken zu reden. Nach deren Lebensphilosophie kommt ein Treffen nur dann zustande, wenn beide Parteien dazu bereit sind oder wenn die Zeit dazu herangereift ist. Es könnte sehr schwer werden sich unter diesen Umständen mit einem Indianer zu verabreden, wenn es sich nicht von selbst, ganz ohne Führung oder Vorsatz ergibt. Einige Menschen würden sich nie begegnen, Kommunikation, Fortschritt und Zivilisation wären womöglich beeinträchtigt, wenn nicht jemand da wäre und eine Situation schafft – einen Moment erzeugt. Ein Mensch geht auf einen anderen zu. Im Gegensatz dazu stünde die spirituelle Anschauung der Begegnung, die durch ein gegenseitiges und natürliches aufeinander zu bewegen zustande kommt.

Das Geheimnis und die Kraft des Momentes liegen darin verborgen, dass ein Ereignis, welches sich nicht von Natur aus fügen mag, von einer initiierenden Person dominiert wird. Diese Dominanz lässt sich als kreativen Akt beschreiben, womit wir bei der Quelle an schöpferischer Energie angelangt wären: dem Geist oder der Schöpferkraft.

Der Geist und die Kreativität

In der Genesis ist zu lesen, dass die Erschaffung der Welt dem Geist Gottes zugeschrieben wird. Wie wir uns diesen nun vorstellen dürfen, mag in diesem Zusammen­hang unerheblich sein. Denn es geht allein um die Tatsache, dass etwas aus dem Nichts entstanden ist, durch die Kraft des Geistes. Man könnte meinen, dass allein der Gedanke ausreicht um etwas entstehen zu lassen. Selbstredend müsste es schon der Gedanke eines Gottes sein, um einen Kosmos wie diesen hervorzubringen.

Wir Menschen besitzen dieses einzigartige Potential zur Kreativität. Dieses unter­scheidet uns auch von den rein instinktbasierten Lebewesen, die nach dem mechanischen Prinzip Reiz/Reaktion funktionieren (in deren Gruppe auch wir bedingt hinzu­zuzählen sind). In der Kreativität schöpfen wir aus dem Augenblick – der Gegenwart –, der Wahrnehmung und dem Empfinden. Dadurch nehmen wir Abstand von der mechanisch organisierten Welt und überschreiten die Schwelle zur Inspiration.

Kein Tier denkt an gestern oder an morgen –
es lebt aufmerksam im Augenblick.

Unbekannt

Das mannigfaltige Universum entstand zwar aus dem Nichts, jedoch bildete es sich nicht einfach von selbst heraus, noch formulierten sich die physikalischen Gesetze von allein. Es gibt keine Dokumentation eines natürlichen Prozesses, der das erfolgreiche Entstehen aus dem Nichts beschreiben würde, es sei denn mittels kreativer Energie. Philosophisch wie praktisch gesehen bedarf es Geist und Inspiration um einer Kreation ihre eindeutige Ausprägung zu verleihen. Der Prozess der Kreativität liefert ein Produkt, das durch individuelle Eigenschaften beschrieben wird – was es ist und was es nicht ist. In Exodus 3, 14 erfahren wir über Gott: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Sein Name ist verknüpft mit der Kraft der Inspiration. Was er beschließt zu sein definiert ihn und somit schließt sich alles andere aus – er distanziert sich gleichzeitig von jenem, was er nicht ist. Die Auseinandersetzung mit den „furchterregenden Eigenschaften des Nichts“ führt uns schließlich zur Erkenntnis, dass der Geist Realität erzeugt. Diese Realität ist es auch in der wir leben.

Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

Johann Wolfgang von Goethe

Ästhtetik – ein Spannungsverhältnis

Der Moment ist ein Offenbarer von Wirklichkeiten oder Wahrheiten. Wenn man möchte, dürfte man Schlussfolgern, dass Menschen, die sich nach einer inneren Wahrheit ausrichten, Erzeuger von Situationen sind. Das mag ein Grund für die damit verbundenen potentiellen Konflikte (Spannungspotentiale) sein. Nicht jeder Mensch möchte diese Position gerne laufend beziehen, da man sich damit auch der Kritik aussetzt. Man „flüchtet“ sich manchal einfach gerne in den sicheren Hafen des Mittelmaßes (einem spannungsfreien Zustand) – der Mittelmäßigkeit (etwas negativer belegt). Diese Tendenz entspricht unserer Natur, dem Wunsch nach Ausgeglichenheit und Ruhe. Niemand kann/will/sollte auf Dauer in einem Spannungsverhältnis existieren – Ausnahmen bestätigen selbstredend die Regel. Diese Dynamik darf einzig und allein dem Moment – also einer Zeitspanne von verhältnis­mäßig kurzer Dauer – vorbehalten bleiben. Damit erhalten wir ihm seine Kraft und seine Bedeutung.

In der Natur gibt es eine auffallend starke Tendenz zur Ästhetik. Sie manifestiert sich in der Physik z. B. in der Form von symmetrischen Gesetzmäßigkeiten oder auch durch harmonische Proportionen in den Bauplänen aller Lebewesen. In der Natur begegnen wir Proportionen, die wir einfach als schön wahrnehmen (goldener Schnitt). Der Wachstumsprozess von Pflanzen folgt in erstaunlicher Weise ästhetischen Prinzipien. Neue vegetative Anlagen bilden sich im Goldenen Winkel (137,5°) zur Ursprungsanlage aus. Dieses Phänomen hat seinen Niederschlag in spiralförmigen Mustern, die überall in der Natur im Sinne einer ästhetischen Signatur zu finden sind. Die Fibonacci-Zahlenreihe drückt diesen Zusammenhang mathematisch aus.

Die Griechen anerkannten in der Antike besonders ganzzahlige Zahlenverhältnisse als ästhetisch und finden z. B. in der Musik als Gleichklänge ihre Entsprechung. Der Physiker Albert Einstein sowie seine „Schule“ erkannten selbst physikalischen Formeln eine gewisse Ästehetik in abstrakterer Form zu, die, wie sie meinen, auf die verblüffende Einfachheit des Bauplanes der Natur zurückzuführen sei. Schönheit entsteht durch den rechten Umgang mit der sehr sensiblen Dynamik des bewußten Erzeugens eines Spannungsverhältnisses (oder nennen wir es Situation), welches im Idealfall ein ästhetisches ist.

Stilfragen

Was hier so Abstrakt beschrieben ist, soll einen Gedanken unterstreichen: Die Art wie wir auf einen Moment reagieren, bestimmt die Realität die wir erzeugen. Die Energien die man in einer Situation einbringen mag, bewirken die Veränderung. Man könnte z. B. dahingehend übereinkommen andere Menschen nicht in schwierige Situationen zu bringen um sie nicht einem Spannungsverhältnis auszusetzen, dem sie womöglich nicht gewachsen sind.

Beispiel – Arbeitsklima

Beispielsweise könnte im Berufsalltag ein schwer zu erfüllendes Plansoll zu Spannungen innerhalb der Belegschaft führen. Steigender Druck und Unsicherheit macht sich breit und die Atmosphäre ist geladen. ManagerInnen können in solchen Situationen ausgleichend wirken. Ihr Führungsstil ist entscheidend welche Bedingungen sie für dieses Milieu schaffen. Erhält die Wirklichkeit, die den Alltag bestimmt, den Charakter eines harmonischen Arbeitsklimas trotz Belastungen oder entsteht ein Kriegsschauplatz. Was wirklich passiert liegt aber nicht nur in der Verantwortung einer Person, sondern aller.

Dies ist die Natur der Macht des Augenblicks. Er kann zerstören und aufbauen zugleich. Die Null ist ein passendes Symbol für den Anfang und das Ende, wofür diese Zahl gleichermaßen steht. In einer Stunde Null ist der Geist in der Lage einen Moment zu erschaffen, der die Situation zu verändern mag. Mittels der Kreativität werden wir zu Designern jeder Sekunde. Wir können uns dazu entscheiden eine Situation eskalieren zu lassen oder harmonisierend einzuwirken. Dies ist eine Frage des Charakters und verleiht dem Moment seine einzigartige Prägung. Dieser hinterläßt auf der Geraden der Zeit schließlich ein Indiz für seine einstige Existenz.

Quellen und Anhang:

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